Reto Nay

St. Pölten liegt zwischen Wien und Linz

(David Berger) Die Ereignisse rund um das Priesterseminar in St. Pölten in den letzten Wochen haben besonders jene Gläubigen, die in Bischof Krenn und der von ihm geleiteten Diözese ein großes Zeichen der Hoffnung sehen, zutiefst verunsichert. Ganz unabhängig von der Frage, was an den in den Medien kolportierten Berichten wahr und was erfunden ist, hatte man doch gelegentlich den Eindruck, dass hier mit Hilfe eines (echten oder gemachten?) Skandals, ein Bischof und sein Priesterseminar, das in den letzten Jahren einen hoffnungsvollen Weg eingeschlagen hatte, zu Fall gebracht werden sollten.

Sieht man einmal von den Sensationsmedien ab, von denen keine andere Reaktion zu erwarten war, so gibt es hier etwas, das die Sache, selbst in den Augen Außenstehender (Ist es nicht bezeichnend, dass die „Ehrenerklärung“ für Regens Küchl nicht aus Kirchenkreisen, sondern von zahlreichen Politikern aller Parteien, von bekannten Schriftstellern und Künstlern aus Österreich kam? Und wie müssen sich jene, die den Kampf gegen Bischof Krenn initiiert haben fühlen, wenn Ihnen ein Linksintellektueller wie Günter Nenning in der „Kronenzeitung“ ein unchristliches Intrigieren gegen Bischof Krenn vorwirft, dem es nur darum gehe, den Bischof „abzustechen“(, wirklich schlimm macht: Wer genauer hinblickte, konnte auch aus zahlreichen Wortmeldungen innerhalb der Kirche sehr leicht ein unangenehmes, bisweilen intrigante Züge annehmendes Gemisch erkennen, von Neid auf die hohen Eintrittszahlen, die dieses Seminar verzeichnen konnte, von fehlender Alteritätskompetenz bei vielen Mitbrüdern des St. Pöltener Bischofs sowie von seltsamer Inkonsequenz im Hinblick auf das Phänomen der Homosexualität.

Hier soll nicht Bischof Krenn oder irgend jemand anderes pauschal in Schutz genommen werden, auch über die Aufnahmepraxis im St. Pöltener Priesterseminar wird man sich streiten können. Aber: Ist der Eindruck ganz falsch, dass die ganze Kampagne von bestimmten Kirchenmännern Österreichs ausging (Bereits einige Tage bevor die zur Krise führenden Photographien in Österreich veröffentlicht wurden, waren Sie auch „Theologisches“ mit einem Anschreiben zugegangen, dessen Absender sich in der Anonymität versteckte, sich aber als im Auftrag höherer Kirchenkreise handelnd ausgab und die Zeitschrift ersuchte, die Bilder und den dahinter stehenden Skandal zu veröffentlichen!), dass es hier häufig nicht mehr um die Wahrheit und um den Kampf für ein sittenreines Leben im Klerus, sondern um die kirchenpolitisch motivierte Demontage eines Bischofs und seiner engen Vertrauten geht?

Wer mit der Kampagne – außer Bischof Krenn – getroffen werden sollte, wurde dann vollends klar, als der Chefredakteur der „(Deutschen) Tagespost“, Guido Horst, nicht nur eine „rosarote“ Verschwörungstheorie entwickelte, sondern auch noch gleich wusste, wo die Verschwörer, die sich angeblich bis in „höchste Kirchenkreise“ finden, genauer zu suchen sind: „Homosexuell orientierte Priester zeichnen sich nach außen hin in der Regel durch Rechtgläubigkeit und liturgische Beflissenheit aus. Dass sich Bischof Krenn, im jahrelangen Kampf gegen vermeintliche und wirkliche Bedrohungen der kirchlichen Disziplin physisch wie psychisch verbraucht, von dieser Rechtgläubigkeit täuschen ließ, ist tragisch.“ (Tagespost, 21.07.2004) Damit nahm Horst nicht nur in unangreifbarer, weil im Bereich der Andeutung bleibender Weise, die infamen Vorwürfe des Wiener Pastoraltheologen Zulehner gegen Bischof Krenn erneut auf, er stellte zugleich noch indirekt alle rechtgläubigen und liturgisch korrekt verfahrenden Priester(sowie indirekt natürlich auch die ebenso eingestellten Bischöfe, Kardinäle und Päpste) unter den Generalverdacht, „homosexuell orientiert“ zu sein. Auch bei der Berücksichtigung der Tatsachen, dass es natürlich auch unter den konsequent katholischen und papsttreuen Klerikern Sünder gibt und dass man auf der journalistischen Ebene verbal schon mal kräftiger zulangen muss, um gehört zu werden (Auch wenn es im Hinblick auf die ohnehin sinkenden Abonnentenzahlen der Zeitung vielleicht weniger geschickt ist, eine seiner Hauptzielgruppen zu beschimpfen ...) – solche Ä ußerungen sind einer „katholischen Zeitung“ (so die Selbstbezeichnung der „Tagespost“) unwürdig.

Wie klärend und frei von jedem Fanatismus wirken hier die Kommentare des Schweizer Exegeten Dr. Don Reto Nay! Der erste wurde bereits unter dem Titel „Mediengeil statt Seelenheil“ im Internet am 21. Juli 2004 von der Nachrichtenagentur kath.net publiziert, der wir herzlich für die Abdruckerlaubnis danken. Den zweiten, exklusiv f. Theologisches verfassten geben wir auch hier wieder.

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Wie wird es in der Diözese St. Pölten nach den Ereignissen des vergangenen Juli weitergehen? Ich befürchte, dass diese Frage nicht schwer zu beantworten ist. Denn inzwischen weiß man, wie in Rom der Hase läuft. Der Prophet von heute hat ein leichtes Geschäft:

Der eingesetzte Apostolische Visitator, Bischof Klaus Küng von Feldkirch, wird pflichtgetreu untersuchen und viele Leute befragen. Irgendwann wird er einen langen Bericht verfassen und in Rom abgeben. Dort wird das Schreiben in einem Büro des vatikanischen Staatssekretariates auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Kurze Zeit später wird Bischof Kurt Krenn entweder aus gesundheitlichen Gründen zurücktreten oder nach Rom befördert (eine Erzdiözese Rohrbach im Mühlviertel wird es vermutlich nicht geben). Zeitgleich mit Bischof Krenn wird auch sein Weihbischof, der die Altersgrenze schon erreicht hat, in Pension geschickt. Eine salomonische Lösung. Bischof und Weihbischof von St. Pölten, die sich gegenseitig spinnefeind sind, werden gemeinsam abtreten müssen. Das wird - wenigstens symbolisch - auch das Rachebedürfnis der „Konservativen“ befriedigen. Es lebe der römische Kompromiss!

Gleichzeitig kann man auf www.vatican.va unter „Rinunce e nomine“ lesen, dass der Bischof von Feldkirch, Dr. Klaus Küng, zum neuen Oberhirten von St. Pölten ernannt wurde. Die Begeisterung der Presse wird grenzenlos sein. Wer hätte gedacht, dass die Einsetzung eines Opus-Dei-Bischofs in der viertgrößten Diözese Österreichs einen solchen Medienjubel auslösen würde? Das linke klerikale Establishment in St. Pölten wird den neuen Diözesanbischof unter einer Wagenladung von Vorschusslorbeeren lebendig begraben.

Danach werden die üblichen Zeremonien folgen: eine schnelle Verabschiedung der Alten und die feierliche Einsetzung der Neuen. Nach einiger Zeit wird auch der Weihbischof einen Nachfolger bekommen, ein relativ profilloser Ordensmann aus einem Kloster der Diözese St. Pölten.

Was wird mit den „rechts-konservativen“ kirchlichen Gruppen geschehen, die von Bischof Krenn in die Diözese aufgenommen wurden und die heute ein gefundenes Fressen für zähnefletschende journalistische Verschwörungstheoretiker sind? Gar nichts. Sie werden wie bisher unbehelligt in der Diözese St. Pölten weiterleben. Und die Verschwörungstheorien? Sie werden bald vergessen sein, selbst von der „online Qualitätszeitung“, wie sich eine österreichische Tageszeitung im Internet nennt. Gundula, die online Qualitätsverschwörungstheoretikerin vom Dienst, wird in Zukunft über Maibäume und Verkehrsunfälle berichten müssen. Sogar um das Priesterseminar und die Philosophisch-Theologische Hochschule wird es still werden, als ob es den „Skandal“ nie gegeben hätte und niemals mehr wird geben können. Nach Jahren der Unruhe wird in St. Pölten wieder „Frieden“ einkehren. Spruch des Propheten.

Nicht Frieden. Der Prophet hat „Frieden“gesagt, mit Anführungszeichen. Der wahre Friede ist etwas anderes. Man braucht nur beim heiligen Augustinus nachzulesen: Frieden, sagt der theologische Leuchtturm, ist nicht bloße Ruhe, sondern Ruhe in der richtigen Ordnung. Oder umgekehrt gesprochen: Ruhe in der Unordnungist kein Frieden, sondern die letzte Phase der Agonie auf dem Totenbett. Der wirkliche Frieden besteht somit aus zwei Teilen: aus Ruhe und aus Ordnung. Beim Frieden ist gewöhnlich die Ordnung das größere Problem als die Ruhe. Daran muss man sich in der Kirche häufig erinnern. Nach Jahren eines chaotischen Ökumenismus und konfusen Dialoges scheint heute in den heiligen vatikanischen Hallen die Vorstellung zu herrschen, dass Frieden darin besteht, den Feinden der Kirche zu gefallen, so dass sie zu bellen aufhören. Das ist eine Illusion. Friede ist nicht nur negativ die Abwesenheit von Krieg, sondern positiv das Vorhandensein alle notwendigen Dinge am Ort, wo sie hingehören.

Frieden beginnt nicht, wenn der Feind zu bellen aufhört, sondern wenn die Auslegeordnung wiederhergestellt ist. Der neue Bischof von St. Pölten würde nur dann seine Pflicht erfüllen, wenn er sich in erster Linie um die Ordnung kümmerte. So hochtrabende Erwartungen kann man wohl nicht hegen. Das wäre eine absolute Premiere - nicht nur in Österreich. Dann wäre es um den so sehr herbeigesehnten ³Frieden² geschehen. Weil aber Ruhe schlechthin schon seit längerem zum kirchlichen Universalsakrament avanciert ist, sieht es danach aus, dass die einst so angesehene vatikanische Diplomatie es in St. Pölten nicht weiter bringen wird oder will als zu einem faulen Frieden - womit das Matthäusevangelium in den Wind reimt: „Nehmt an, ein Baum ist faul, so wird auch seine Frucht faul sein. Denn an der Frucht erkennt man den Baum (Mt 12,33).“

Ein Bischof, der dem wirklichen Frieden dienen will, muss sich zuerst um die Ordnung kümmern. Wie wird man merken, ob er sein Diözesanhaus in Ordnung gebracht hat? Im Matthäusevangeliums steht es: wenn die Früchte in Ordnung sind. Und die ersten und besten Früchte einer Diözese sind ihre Seminaristen. Darum braucht man sich, um zu sehen, was ein Bischof taugt, nicht seine Predigten anzuhören - Papier ist geduldig. Man muss einen Blick ins Priesterseminar werfen und die Seminaristen betrachten. Wie man den Baum an den Früchten erkennt, so erkennt man den Bischof an den Seminaristen, die er hat beziehungsweise nicht hat.

Früher mag das noch anders gewesen sein: Aber heute wird sich ein junger Mensch nicht zuletzt den Diözesanbischof anschauen, vermutlich sogar zweimal, bevor er eine Diözese wählt: Wahltag ist auch hier Zahltag. Von den katholischen Parteien sagt man, dass sie in den alten Tagen einen Kartoffelsack hätten nominieren können und dass dieser auch problemlos gewählt worden wäre. Es bleibe dahingestellt, ob das heute anders wäre, nicht nur bei den katholischen Parteien. Aber eines ist sicher. In der Kirche funktioniert die Kartoffelsackpolitik nicht mehr. Kein vernünftiger junger Mensch wird heutzutage sein Leben einem Kartoffelsack in die Hände versprechen. Wenn ein Seminarist es trotzdem tut, wird man sich fragen müssen, welche ungesunden Beweggründe dahinterstecken.

Die Tragik besteht darin, dass der Kartoffelsackbischof in der heutigen Kirche bei weitem kein Auslaufmodell ist, sondern von den Verantwortlichen geradezu als Glücksfall betrachtet wird. Er ist beliebt, weil er so stehen bleibt, wie man in hinstellt und sich dann nicht mehr rührt. Man atmet auf, dass er in seiner Unbeweglichkeit keinerlei „Unruhe“ - die Sünde der Sünden in unseren auf Ausgleich bedachten Zeiten - in die Diözese bringt. Das liegt auch daran, dass er die Presse auf seiner Seite hat. Diese preist den Kartoffelsack als Vater des Friedens. Dass Christus auf die Erde gekommen ist, um sich mit ihr anzulegen und den Frieden mit Gott - nicht mit der Welt - zu bringen, bleibt ein exegetisches Detail. Im pastoralen Alltag folgt man einem anderen, leicht abgewandelten Bibelspruch: Feuerlöscher bin ich gekommen auf die Erde zu werfen.

Warum sind Kartoffelsäcke bei der Presse beliebt? Weil sie nicht in den Krieg ziehen. Wenn der Wolf in die Herde einbricht, werden sie die Alarmglocke nicht läuten, um keine unnötige Unruhezu produzieren. Hauptsache, der Wolf hängt sein Geschäft nicht an die große Glocke. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Für die aufmüpfigen 68er Altprogressisten, die heute in der Kirche das Sagen haben, stellt der Kartoffelsack-Bischof keine Gefahr dar. Im Gegenteil. Er dient als willkommene Deckung. Denn ein Kartoffelsack unterdrückt nur jene, die das Unglück haben, unterihm zu sein: die Gehorsamen.

Nur eines haben Kartoffelsack-Bischöfe nicht: Seminaristen.

Keiner wird sein Erstgeburtsrecht für ein Kartoffelgericht verkaufen. Der Preis, Priester zu werden, ist hoch, viel höher als für jeden anderen Beruf. Ein frommer, hochherziger und intelligenter junger Mensch wird diesen Preis für die Perle des Priestertums gerne bezahlen. Aber er wird schlau genug sein, um eine Mogelpackung vom Original zu unterscheiden. Hier beginnt das Problem. Der Kartoffelsack-Bischof ist eine Mogelpackung, und er steht für eine Mogelpackungspriesterausbildung und ein Mogelpackungspriestertum.

Was wäre von einem jungen Mann zu halten, der sich fünf Jahre mit einer Priesterausbildung auf Kindergartenniveau abfindet, fünf Jahre lang klaglos theologische Schwatzfächer belegt, für deren Examen es genügt, die Nacht vorher etwas zu lernen, und der anschließend freiwillig in eine schwind- und windsüchtige Pastoral einsteigt, wo jeder kleinste Erneuerungsversuch ein schweres Verbrechen ist, durch das man in den tödlichen Ruf gerät, ein „Konservativer“ zu sein? Niemand würde heute die Namen des hl. Dominikus, des hl. José Maria Escrivà de Balaguer oder der heiligen Theresia von Avila kennen, hätten sich diese Heiligen damals auf ein solches Puppenspiel eingelassen. Der hl. Pfarrer von Ars hat in seiner Priesterausbildung noch mit der Lateinischen Sprache gekämpft. Was für Hürden erwarten den modernen Priesterzögling, außer dass es von Jahr zu Jahr schwieriger wird, am Morgen aufzustehen? Kartoffelsack-Bischöfe erzeugen Kartoffelsack-Priester. Aber das scheint niemandem aufzufallen: Hauptsache die sakrosankte Ruhe wird nicht gestört. Das hat den Nachteil, dass man keinen jungen Menschen, der seinen Verstand noch halbwegs beisammen hat, vernünftigerweise dazu bringen kann, so etwas auf sich zu nehmen. Ein hochherziger intelligenter junger Mann erwartet zurecht eine intelligente und herausfordernde Ausbildung und einen Beruf, der mehr ist als ein Sandkastenspiel. Seriöse Angebote in der Privatwirtschaft gibt es genug. Würde letztere heutzutage im Stile unserer Diözesen und Pfarreien geführt, wären wir schon lange bastrockgeschürzte Bewohner von Drittweltländern.
Der Weg zum wahren Frieden wird an der Ordnung nicht vorbeiführen. Ich hoffe darum sehr, dass sich der Apostolische Visitator in der Diözese St. Pölten nicht darauf beschränkt, pornographisches Beweismaterial auszuwerten und den gordischen Knoten der Klerikerintrigen zu entwirren. Es geht um viel mehr, nämlich um die Wiederherstellung einer geordneten ernstzunehmenden Priesterausbildung, die in Österreich schon seit Jahren zusammengebrochen ist, ohne dass auch nur ein Kuckuck nach einem Apostolischen Visitator gerufen hätte. Sonst wird das Resultat der Übung bloß darin bestehen, dass man in Österreich schon bald ein weiteres leeres Priesterseminar vorweisen kann.

Um die Sache auf den Punkt zu bringen. Letztes Jahr kamen in Österreich auf einen Diözesanseminaristen ungefähr 44.444 Katholiken. Das ist eine beklemmende Zahl, die nächstes Jahr mit Sicherheit noch unterboten wird. Es gibt zwei österreichische Diözesen, wo es besonders schlimm aussieht: Die Millionendiözese Linz mit 11 Seminaristen (1 Seminarist auf 97.000 Katholiken) und die Erzdiözese Wien mit 17 Seminaristen (1 Seminarist auf 80.000 Katholiken).

Glücklicherweise sind beide Städte von St. Pölten nicht weit entfernt. Darf man hoffen, dass der um die Priesterausbildung besorgte Apostolische Visitator auch in diesen Städten nach dem Rechten sehen wird?