CHRISTOPH CHARAMSA

Der Rosenkranz - Eine Schule der Anbetung

Kommentar und theologische Anmerkungen zum apostolischen Schreiben von Johannes Paul II. Rosarium Virginis Mariae

 

Am 25. Jahrestag des Pontifikats Johannes Pauls II. hat die Kirche eine große Gabe erhalten: es ist das Geschenk des Papstes zum Jahrestag, zum Jubiläum der weltumfassenden Mission des Nachfolgers Petri. Diese Gabe, die wir in den Händen halten, ist das apostolische Schreiben Rosarium Virginis Mariae. Er konnte uns nichts Schöneres geben, da es das ist, was der Papst in seiner Spiritualität[1]bevorzugt, was er liebt[2]. Es ist das Herzstück seines Gebetes. Der heilige Vater bietet als erster das Zeugnis seines gelebten Glaubens an, in dem er sich der heiligsten Mutter übergibt, der Dankbarkeit für den Schutz Mariens.

Die Gabe wird aber auch zur Aufgabe: es ist die pastorale Botschaft eines nun beendeten Jahres, das vollständig dem Rosenkranz gewidmet war (11.2002 – 11.2003). Für die Kirche war es das 25. Jahr des Dienstes Johannes Pauls II. als Nachfolger Petri. Für die Kinder und Jugendlichen, für die Studenten war es ein neues Schul- und Studienjahr. Für die Welt war es eine Zeit der Unsicherheit und der heftigen Prüfung einer Menschheit, die das Drama des mangelnden Friedens erleidet, der Attentate und des Krieges. Die Menschheit, die vom Angriff des 11. Septembers 2001 und von den immer neuen Einfällen des Bösen erschüttert wird, erwartet Trost und Erleichterung. Die  Gläubigen bedürfen des Halts und der Bestätigung Gottes, der sein Volk nicht verlässt. Und der Papst zeigt das einfache und wirksame Mittel der Hoffnung auf, ein ermutigendes Mittel des Trostes. Gerade in einem schweren Augenblick der Geschichte hat ein Sohn Mariens die Herausforderung des Gebetes vor sich. Denn für den Gläubigen gibt es keine Verzweiflung, keinen Pessimismus ohne Vertrauen, denn er weiß – auch in einer dunklen und gewalttätigen Welt –, daß er einen sicheren Hafen hat, wo er Gott die Unsicherheiten des Menschen anbieten kann, des Menschen, der Sein Heil nötig hat. Es ist der sichere Hafen des Gebetes…

Die großen Anliegen des Marianischen Gebetes, die der Papst für eine neue Verbreitung des Rosenkranzgebetes vorstellt, sind zwei. Der Rosenkranz soll Teil eines Einsatzes für den Frieden und für die Familien sein[3]. Zwei Aspekte, die in einer gewissen Form die Schwierigkeiten der heutigen Welt zusammenfassen. „Somit kann man den Rosenkranz nicht beten, ohne den Auftrag zur Teilnahme am Einsatz für denFrieden anzunehmen, mit einem besonderem Augenmerk auf das so schwer geprüfte Land Jesu, das uns Christen so teuer ist. Dieselbe Dringlichkeit an Einsatz und Gebet tritt an einem anderen kritischen Punkt unserer Zeit hervor, nämlich dem der Familie, der Keimzelle der Gesellschaft, die immer mehr durch zersetzende Kräfte auf ideologischem oder praktischem Niveau bedroht ist“[4]

Im Gegenteil, der Friede selbst beginnt in der Familie, beginnt im mütterlichen Schoß und in der Annahme dessen, was der heimatliche Herd, die häusliche Kirche ist. Der Papst lädt daher ein, um den Frieden zu bitten und gerade dort darum zu bitten, wo sein Ursprung ist, die Wurzel des Friedens selbst, der aus dem Herzen des Menschen und aus seiner Familie kommt.

Es gibt also ein wirksames Mittel, welches gerade in Momenten großer Krisen besonders gefördert werden muss. Es ist das Mittel des ehrlichen und eifrigen Gebetes. Es handelt sich um ein besonderes Gebet, das sehr kontemplativ ist, oder durch die Meditation zur Kontemplation führt. Es handelt sich um das Gebet, das sein Vorbild in der betenden Lehrerin, in Maria hat, die völlig versunken ist in der seligen Anbetung des Sohnes.

Der Rosenkranz – die Christusgeheimnisse mit marianischen Herzen meditieren

Der Rosenkranz ist ein leichtes und ein schweres Gebet zur gleichen Zeit. Auf der einen Seite ist es sehr leicht, leicht nachzuahmen, in dem Sinne, daß es allen zugänglich ist, und das ist seine große tragende Kraft. Es ist für alle und für jeden. Es fügt sich in die Logik der Menschwerdung ein, in der das Heil Christi für alle gedacht ist. Jedes Mysterium Seines Lebens interessiert und fordert das Leben eines jeden Christen heraus. Es bedarf hierfür keiner besonderen Gaben oder außerordentlicher Fähigkeiten. Man erwartet nichts Außergewöhnliches. Es braucht den gewöhnlichen Gang des Glaubens: es braucht ein klein wenig an Zeit, in der die innere Stille des Gebets herrscht. Der Rosenkranz ist eines dieser einfachen Gebete für alle.

Dennoch ist der Rosenkranz zugleich keine ganz einfache Übung. Er ist anspruchsvoll und er erfordert doch ein wenig Aufmerksamkeit, man muß Nachdenken und wie wir sagten, es bedarf einer Zeitspanne; man kann es in einem Wort ausdrücken: man muß ihn beten lernen[5]. Man braucht dafür eine gewisse Übung, wie für alle Dinge. Um ein Beispiel zu machen: wer noch nie alleine eine Seite der Bibel gelesen hat, wird, wenn er die Heilige Schrift zum ersten Mal in den Händen hält, etwas verunsichert sein, orientierungslos, weil man die Meditation lernen muß. Man übt sie, und läßt sie zu einer Gewohnheit des Geistes werden. Es braucht dazu ein Training, eine Übung, wie in einem Sport, weil wir uns beim Gebet in der Sphäre sozusagen der Gymnastik des Geistes befinden. Paul VI. sprach von den Laien, die sich um die Heiligung in der Welt bemühen, wie von den Bergsteigern des Geistes, das heißt wie die, die mit einer täglichen Anstrengung, mit evangelischer Übung, zu Gott aufsteigen[6]. Der Einsatz für das Gebet ist auch ein Bergsteigen, das man lernt, indem man es übt und sich nicht entmutigen läßt von der Schwierigkeit eines Ganges in der Höhe.

Hier ist einer der Gründe für das Jahr des Rosenkranzes, das der Heilige Vater ausgerufen hat. Im Jahr, das wir als Jubeljahr für sein Pontifikat anerkennen, wollte Er die Kraft des Gebetes stärken, die in unseren Händen liegt. Er gibt uns die Möglichkeit zu einer reiferen Aufgabe in unserem Leben des Rosenkranzes. Die alte Praxis des Rosenkranzes erscheint wie der Brunnen des Friedens, aus dem man mit immer neuer Freude schöpfen kann. Es ist der Brunnen der Anbetung, der jede geistliche Wüste erfreuen kann. Die Herausforderung des neuen marianischen Jahres wurde mit Freude von der Kirche angenommen und wird zum Ruf für den, der dem Rosekranzgebet treu ist, und für den, der erst jetzt den Mut haben wird, ihn in den Händen zu halten, und sich mit der Schule des Gebetes zu messen.

Christus, die Sonne, die wir mit Maria anbeten, Mutter und unsere Schwester

In seinem neuen apostolischen Schreiben lässt der Heilige Vater die Schönheit der Anbetung Christi in marianischer Perspektive wieder aufblühen. Sie wird vorgestellt als jene Richtung, auf die hin der Gläubige sich im dritten Jahrtausend der Kirche ausrichten soll[7]. Anbeten heißt schauen und sich wandeln in die Form, die man sieht, und als solche ist sie das Ziel jedes menschlichen und christlichen Lebens[8]. Wir sind eingeladen unsere Augen nicht allein, sondern zusammen mit Maria auf das Antlitz Christi zu werfen.

Christus ist wie die Sonne, die das Auge desjenigen blenden sollte, der glaubt. Aber für den Menschen ist es nicht leicht die Sonne anzuschauen. Von ihr geblendet schließen wir die Augen unwillkürlich, daher muß man notwendigerweise die Augen an den Anblick der Herrlichkeit ihrer Strahlen gewöhnen, um die Schönheit, die leuchtet und „entführt“, genießen zu können. So entführte das Antlitz Christi, daß die Jünger auf dem Tabor kennen gelernt hatten, Petrus, Jakobus und Johannes (Mt 17,2), oder das Antlitz des Auferstandenen Paulus bei seiner Berufung (Apg 9,3-9), oder die Gottesschau, die der hl. Thomas von Aquin am 6. Dezember 1273 gehabt hat, die seinen Gang in den Himmel voraus ging, und ihn in die Stille und Anbetung versetzte, die seinen Zustand in der Ewigkeit antizipierte[9].

Doch das erhabenste Modell des Schauens des Antlitzes Christi – sowohl im Leid, wenn es von Schmerz und Tod verdunkelt ist, als auch in der Herrlichkeit – ist die Jungfrau Maria. In ihr finden wir den wahren Regenbogen der anbetenden und sich mit dem Sohn durch ihr Mitwirken an seiner Heilsmission identifizierenden Blicke mit dem Sohn. Mit dem strahlenden und durchdringenden, dem leidenden und sich verzehrenden Blick, mit dem Blick der Mutter und Jüngerin, umfasst sie das Leben des Sohnes und Herrn.

Alle ihre Blicke sind der Spiegel der Christusgeheimnisse. Sie ordnen sich zu einem harmonischen und ununterbrochenen Lob, in ein Fiat (mihi secundum verbum tuum) und in ein Magnificat (anima mea Dominum). Sie, die das menschliche Antlitz bietet zum Antlitz Gottes, erlaubt Gott vor allem in ihr die ganze Schönheit der göttlichen Physiognomie neu zu gestalten.

Der kontemplative Blick ist die dauernde Nahrung des Lebens Mariens. Man könnte sagen, er gibt ihrem Leben die wirkliche Farbe, die nur deswegen scheinen kann, weil er ständig der Sonne des Heils ausgesetzt ist. Wenn das tiefe Schauen nicht einfach heißt einen Blick zu werfen, sondern zu einer geistlichen Nähe führt und zur Kontemplation, verwandelt und erbaut er das Gedächtnis (zakar). Eine besondere Schönheit die, wenn sie uns einmal entführt hat, nicht mehr vergessen werden kann. Es ist etwas Herausragendes, das wir gesehen und bewundert haben, das man nicht vom Gedächtnis löscht. Aus diesen Erinnerungen des Sohnes ist das Leben Mariens gemacht, so daß sie für ihre Brüder zum Zentrum der Evangelisierung wird[10]. Der Rosenkranz steht ganz in dieser kontemplativen Perspektive. Maria nachahmend, führt er den Blick zur Kontemplation Christi. Mit ihrer Hilfe hält er nicht bei einer nur menschlichen Erinnerung an, sondern in der Erinnerung aktualisiert er die Werke Christi. Sie erinnert ihn im Herzen und mit immer stärkerer Einbindung in die Kontemplation.

Um zur Kontemplation Gottes zu gelangen, ist es nötig, sich nach ihr auszurichten[11], indem man verschiedene Übungen verrichtet, die uns für die höchste Wahrheit und göttliche Liebe öffnen. Der Rosenkranz ist eine dieser frommen Übungen, die dem Betenden die gute Gelegenheit geben, anzubeten. Insbesondere wenn er tägliche Übung wird: „Er dient dazu, den Tageslauf vieler kontemplativer Menschen im Gebet zu erfüllen; ebenso ist er ein Begleiter der kranken und alten Menschen, die ausreichend über Zeit verfügen“[12]. Der Rosenkranz ist nämlich die Praxis des „freundschaftlichen Besuchs“[13]und als solcher erlaubt er immer mehr das kontemplative Gewahrwerden der göttlichen Mysterien, dessen erste Frucht die Freude über die göttliche Freundschaft ist. Wenn man einem Freund begegnet, ist man froh, man ist in der Freude.

Als großer Pädagoge des Gebetes zeigt der Papst vier Etappen auf, denen man mit dem Rosenkranz in den Händen folgen soll. Zunächst sind wir gerufen Christus durch Maria kennen zu lernen, danach ihm ähnlich zu werden, sodann ihn zu bitten und schließlich ihn mit Maria zu verkündigen[14]. Die erste Jüngerin Jesu, sie wird zur erfahrensten Lehrerin, indem sie sich vom Geist Christi formen läßt, der hier der innere Lehrmeister ist.  Sich von der Lehre Mariens leiten lassen bedeutet nichts anderes als sich dem inneren Lehrer anzugleichen, ihm zu entsprechen in einem Gang immer stärkerer Assimilierung. Die Schule des Rosenkranzes ist eine wertvolle Etappe der Angleichung an den Herrn, indem man sich ihm unterordnet und immer mehr die eigenen Handlungen auf ihn gründet. Christus möchte im Herz des Gläubigen geformt werden, so wie er sich in der Peron Mariens geformt hat. Andererseits möchte er, daß der Gläubige in seinem Mysterium immer mehr heimisch wird. Das hohe Ziel dieses Prozesses ist einer Art Konsekration bis zur Mystischen Ehe.

Die vertrauende und eifernde Freundschaft drückt sich auch in vertrauender Bitte und Fürbitte aus, die nur in der Verkündigung des Evangeliums münden kann. Maria ist das Modell, aber sie ist vor allem die Hilfe des Beters. Die mächtige Fürbitte Mariens, die mit der Kirche betet, ist ein wirksamer Halt. Beim Gebet des Rosenkranzes bin ich nicht allein, sondern Maria ist da, die mit mir betet und deren Fürbitte ich mich anvertrauen kann.

Die Lichtmysterien

Ich muß sagen, daß ich mir während meiner Meditation des Rosenkranzes nicht nur einmal die Frage gestellt habe, warum unter den fünfzehn Mysterien das so wichtige Mysterium in Leben Jesu, die Taufe im Jordan, fehlt. Die Antwort war einfach, weil in der Ordnung der 150 dafür kein Platz war. Man mußte auswählen, und die alte Auswahl der Mysterien, hat die bevorzugt, die mehr mit dem Leben Mariens verbunden waren. Ich hätte mir damals nicht vorstellen können, den besonderen Augenblick am 16. Oktober 2002 zu erleben, jenen Augenblick einer besonderen Hinzufügung, eines geistlichen Wachstums, einer Reifung des Rosenkranzgebetes.

Wenn der Rosenkranz wirklich ein „biblisches Gebet [ist], in dessen Mitte das Geheimnis der erlösenden Menschwerdung steht, ist der Rosenkranz ganz klar auf Christus hin ausgerichtet“[15], dann gibt es einen starken Grund dafür, auch die Mysterien des öffentlichen Lebens Christi von der Taufe zur Passion[16]zu umfassen.

Fünf neue lichtreiche Mysterien sind für die Anbetung des öffentlichen Lebens Jesu hinzugekommen: 1. Die Taufe im Jordan, 2. die Hochzeit zu Kanaa, 3. die Ankündigung des Reiches und die Einladung zur Umkehr, 4. die Verklärung, 5. die Einsetzung der Eucharistie.

In glücklicher Form werden sie Lichtmysterien genannt. Jedes Licht (phos, phéngos) bringt es mit sich, eine Situation zu erhellen, die im Dunklen ist. Eine angezündete Fackel, ein Licht, das Licht ausstrahlend, Klarheit bringt. Viel mehr erhellt die Sonne die Natur der Erde. Das Licht läßt also den Kontrast mit der Dunkelheit erkennen und zur gleichen Zeit besiegt es den Schatten. Es ist für das Leben notwendig. Licht und Leben sind eng miteinander verbunden, wie – auf der anderen Seite – die Schatten und der Tod. Nun sind Leben und öffentliche Mission Jesu die Quellen für das Licht der Welt. Sie zeigen sein Sein als Gott-Mensch. Er trägt in sich den wirklichen Glanz des Lichtes, weil die wirkliche Erleuchtung vom Himmel kommt und das Licht der Sonne übersteigt (wie es in der Berufung des Paulus geschehen war, Apg 26, 13). Das Licht Christi ist göttliches Licht, ein alles überstrahlendes Licht (Mt 17,2). Er selbst erscheint in der Apokalypse des Johannes wie ein wunderbarer Morgenstern (22,16). Nach dem heiligen Lukas, wird Christus am Ende der Zeiten wie ein Blitz aufleuchten (17, 24), und in dieser Zeit werden auch die Gerechten leuchten wie die Sonne (Mt 13, 43, vgl. Dn 12,3). Der Papst benützt die große Theologie des Rosenkranzes, ein Gebet das in seiner Zärtlichkeit leuchtet.

Versuchen wir einige Lesearten, die im neuen Teil des Rosenkranzes Vorrang zu haben scheinen, auch wenn sie nicht völlig in der traditionellen Form des Rosenkranzes fehlen. Sie möchten die Schlüssel sein, die eine Meditation von Christus, dem Sohn Mariens in einem neuen leuchtenden Kranz ermöglichen.

Der Schlüssel der Epiphanie

Die Lichtmysterien bilden einen sehr genauen Leitfaden, der von der Epiphanie Jesu als Sohn Gottes zu seiner leuchtenden und erleuchtenden Offenbarung führt. Christus offenbart uns, wer er ist und von wo er kommt; daß er der Sohn des Vaters ist. Schon in der Taufe offenbart die Stimme der Vaters das Antlitz des Sohnes (cf. Mt 3,13-17, Lk 3.21-22, Mk 1,9-11). Das große Zeichen von Kanaa, an das im Johannesevangelium erinnert wird, ist der Anfang der Offenbarung durch Christus (Joh 2,1-11). Zu dieser Zeit offenbart er das Reich Gottes, weil er, um es mit den Worten von Origines[17]auszudrücken - selbst das Person gewordene Reich (basilea) Gottes in sich trägt. Das Reich, das kommt, ist seine Epiphanie. Einen stark offenbarenden Charakter hat auch das Mysterium des Berges Tabor, wo für einen Augenblick den Jüngern der Trost gegeben wird, die göttliche Natur, im menschlichen Gesicht der Herrn zu sehen. (Lk 9, 28-30, Mk 9, 2-8, Mt 17, 1-8). Schließlich zeigt er in der Eucharistie seine anhaltende Gegenwart bis zum Ende der Welt (Mt 26, 26-28, Mk 14, 22-25, Lk 22, 19-20). Die Verklärung läßt ihn uns sehen und kosten in einem ständigen Sich-Offenbaren auf dem Altar.

Christus nimmt uns an seine Hand auf dem Weg seiner Offenbarung in der Welt. Er ist das authentische Vorbild der Kontemplation, indem er die Augen auf den Vater richtet (Lk 4,20). Maria bleibt, wie der Papst bemerkt, bei diesen Mysterien im Hintergrund, aber ihre Gegenwart ist nicht passiv. Sie weiß in der Harmonie ihres Christus zugewandten Herzens, wann sie handeln soll, so daß die Worte, „Tut was er sagt“ (Joh 2,5b), die sie an die Jünger zu Beginn der öffentlichen Mission Jesu richtet, in gewisser Weise in jeder Seite des Evangeliums widerhallen und das tägliche Gedächtnis der Kirche sind, bis er wiederkommt. Sie weiß auch, daß ihre erste Aufgabe als Gläubige die Anbetung der Offenbarung des Sohnes ist. Sie hört nicht auf, all dies in ihrem Herzen zu tragen, und es in ihrem Herzen zu meditieren (Lk 2,19, vgl. 2,51). Es handelt sich um eine zurückhaltende und leise Gegenwart, aber zugleich auch um eine stark Gegenwart, weil sie kontemplativ ist.

Der Schlüssel des sich in der Herrlichkeit Offenbarenden

In den lichtreichen Mysterien verwebt sich wie in einem schönen Bild das Thema der Herrlichkeit (kabod, doxa). Dieses Konzept war dem Schweizer Theologen, und großen Mariologen und Kardinal Hans Urs von Balthasar[18]heilig. Mit den besonderen Mysterien im Leben Jesu beginnt dessen Herrlichkeit in die Geschichte des Universums einzubrechen. Wenn wir sie mit den glorreichen Geheimnissen vergleichen, bleibt im öffentlichen Leben Jesu die Ehre noch verborgen, aber sie lässt sich leicht einfügen wie in ein süßes Spiel von Licht, das sich enthüllt und verbirgt. Die Glorie Christi zeigt sich in der Auferstehung und führt uns zum ewigen Leben. Im öffentlichen Leben aber ist der wichtigste Punkt die Vorbereitung der Jünger auf das Erkennen der wirklichen Ehre Gottes. Es ist kein Zufall, dass der Verklärung eine Vorankündigung des Leidens folgt und vorausgeht[19]. – Ein sich Offenbaren der Herrlichkeit, die die Zerbrechlichkeit der Natur überwindet und die die Prüfung des Kreuzes vorbereiten will. Es gibt eine Pädagogik der göttlichen Herrlichkeit, die nicht nur das Sein und die Güte Gottes offenbart, sondern auch aus der Nähe seine unendliche und faszinierende Schönheit berührt. Lässt sie sich von der Größe Christi beeindrucken und führt sie zum göttlichen Licht? In Jesus findet sich nicht ein einfacher Reflex der Herrlichkeit Gottes. Er hat das Leuchten ewig, wie die Kraft seines öffentlichen Lebens.

Die Mysterien des Lichtes enthüllen und zeigen sich im Glanz seiner Person. Zur gleichen Zeit weisen sie auf eine Herrlichkeit hin, die sich verbirgt, die nicht vor Kreuz und Leid flieht, sondern sie annimmt, wie es in jedem menschlichen Leben geschehen muss und in jeder christlichen Mission.

Der österliche Schlüssel

Das Osterfest (pascha) beginnt nicht nur mit dem Kreuz und auch nicht nur mit der Auferstehung. Österlich ist das gesamte Leben Jesu. Den österlichen Gang durch den Tod zur Auferstehung bereitet Jesus in allen Mysterien des öffentlichen Lebens vor. Wenn er Leib und Seele heilt. Wenn er Taufe[20]und Eucharistie[21]vorwegnimmt und die Idee der österlichen Botschaft schlechthin lebt. Wenn er schon in der Verklärung den Durchgang vom Dunkel der Karfreitagsnacht zum Morgen des dritten Tages vorbereitet. Natürlich nannten die Väter und Kirchenlehrer auch Weihnachten ein Ostern[22], aber das heißt nicht, daß nicht das gesamte öffentliche Leben Jesu ein bewusster Gang zum Osterfest ist, den Jesus selbst geht und an den er seine Jünger gewöhnt. Sie müssen Schritt um Schritt beginnen in den Raum des österlich Opfers zu gelangen.

Für die Evangelisten, vor allem für Lukas und auch für Matthäus, ist das öffentliche Leben nichts anderes als ein nach Jerusalem gehen (vgl. Lk 9,51b.53; 13,22; 17,11, 19,28, etc.), immer zur heiligen Stadt hingewendet sein (vgl. Lk 13,13), das heißt dem Kreuz und dem Osterfest der Auferstehung entgegengehen. Es ist der Gang, in dem die Spannung der Gegner Jesu wächst, aber zur gleichen Zeit sich immer mehr in den Augen der Jünger das geopferte Lamm für das Heil, Christus, unser Osterlamm, offenbart (vgl. 1 Kor 11,26; 1 P 1,19).

Ekklesiologische Leseart

Schließlich geben die Lichtmysterien einen neuen Anstoß zur Betrachtung, wie Christus seine Kirche (ekklesia) ins Leben ruft. Sie wird aus der Seite Jesu am Kreuz geboren (Joh 19,34), aber von Christus wird sie in verschiedenen Augenblicken seines öffentlichen Lebens erbaut. Von Anfang seines Wirkens an, verkündete Jesus: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe[23]. Nicht zufällig folgt nach der Verkündigung des Reiches Gottes und der Betonung der Notwendigkeit der Bekehrung, unmittelbar die Berufung der ersten Jünger, die engstens verbunden ist mit dem Beginn der Predigt Jesu und der Konstitution der Kirche (Mk 1,16-20, Mt 4,18-22).

Es ist ein schöner Gedanke, daß die erste Kirche Maria nachahmte, die in ihrem Schoß den Retter der Welt trug, ihren Schöpfer. Ihre enge Gemeinschaft mit dem Messias ist die tiefste Natur der Kirche Gottes[24]seit Beginn der Welt[25]. Sie wirkt in den Jahrhunderten und dient in der Zeit als Spiegel des Lebens Christi. Indem sie eine enge Verbindung mit dem Retter bildet, „christianisiert“ die Kirche die Geschichte und das Universum.

Die Lichtmysterien verstärken die Möglichkeit mit Maria die Bildung und Auferbauung der Gemeinschaft der Kirche durch Jesus zu leben[26], von seiner Taufe bis zur ersten Eucharistie, von der Predigt zur Bekehrung für das Reich Gottes bis zur Verklärung auf dem Tabor – mit einer frohen Pause in Kanaa, wo die Hauskirche in der Gegenwart Christus vorausgenommen wird.

Wenn man diesen Weg entwickelt, können wir die nun folgende Meditation der Kirche als Sakrament anschließen, die Christus in den sakramentalen Zeichen mitteilt. Sie ist das sichtbare Zeichen der verborgenen Gegenwart des Heils.

Sakramentale Leseart

Ich glaube, daß es gültige Motive gibt, um in der Betrachtung der Mysterien des Lebens Christi eine Fährte zu sehen, die und zu den Sakramenten der Kirche (mysterium-sacramentum) führt[27]. Diesen können wir uns nun im Rosenkranz und seinen neuen Geheimnissen nähern, im frommen Nachdenken, Meditieren und schließlich in der Anbetung. Die Taufe (1. Mysterium), die Ehe (2. Mysterium), die Eucharistie und das Priestertum (5. Mysterium). Es geht nicht nur um die Momente der Einsetzung: wenn die Eucharistie von Christus eingesetzt wird, erkennt man in der Hochzeit zu Kanaa, die Güte der Ehe und die Verkündigung, daß bereits diese ein neues wirksames Zeichen der Gegenwart Christi ist[28]. Aber dort, wo man die anderen Sakramente sieht: die Verkündigung des Reiches mit der Einladung zur Bekehrung (3. Mysterium), denkt man zuerst an die Buße und an die Bekehrung (Heilung des Geistes; vgl. Mk 2,5; Lk 7,48) und die Krankensalbung (Heilung des Leibes, vgl. Mt 4,24). In einem weiteren Schritt werden unsere Gedanken jedoch weitergeführt: zur notwenigen Reife der Jünger des wahren Reiches Gottes bzw. zum Sakrament der Firmung.

Alle drei Sakramente sind immer an die Verkündigung des Reiches Gottes gebunden. Die Firmung ist die Salbung für die Reife und Verantwortung inmitten des Wachstums des Gottesreiches in der Welt. Die Beichte hilft direkt zur Bekehrung, die von Christus den Gliedern der Kirche angeboten wird. Und die Krankensalbung: im Wirken Jesu ist sie eines der ersten Dinge, die er tat. Er heilte die Kranken und gab so die Gabe der Gesundheit und das erste greifbare Zeichen eines andauernden Heils, des ewigen Heils, d.h. des Gottesreiches. Denn die Sicherheit der frohen Botschaft zeigt sich in den Zeichen der Zeit: wenn ihr die Kranken Gesund werden seht, und die Lahmen laufen, sagt, daß das Gottesreich nahe ist (vgl. Mt 11,5), und wenn ich die Dämonen durch den Geist Gottes austreibe, dann ist das Reich Gottes schon zu euch gekommen (Mt 12, 28).

In dieser sakramentalen Optik ist die Verklärung (4. Mysterium) eine Repräsentation des gesamten Weges der christlichen Vollkommenheit. In einem Augenblick hat Jesus Christus sein Antlitz geändert. Er war voller Licht. Die menschliche Natur hat die göttliche geoffenbart. Der Leib ist vom Geist überwältigt worden. Das, was im Christen die Gnade ist, hat sich in Ihm als Herrlichkeit geoffenbart. Das, was man im sakramentalen Zeichen sieht, im Schatten des Glaubens, hat man in einem Augenblick gesehen, so wie es in seiner verborgenen Wirklichkeit ist.

Alle Etappen der Betrachtung helfen, weil sie die Kontemplation des Antlitz Gottes und die Mysterien seines Lebens, in die er sich mit Maria – Seine und unsere Mutter – einfügt, immer im Blick behalten.

Der theologische Gehalt der Mysterien des Lebens Christi

Dank der tiefen Intuition des Papstes werden im Gebet des Rosenkranzes die Mysterien des Lebens Christi hochgeschätzt. Wenn der heilige Paulus vom Mysterium spricht (mysterion), fasst er den göttlichen Heilsplan zusammen und sein sich Vollenden im Leben Jesu. Man muß sagen, dass wenn man die Mysterien des Lebens des Herrn vernachlässigt, die Theologie ein wenig trocken wird, sehr abstrakt und wenig direkt im Hinblick auf das Leben. Der Mensch braucht zuerst die erinnernde Zuwendung zu den Mysterien, und dann die abstrakten Wirklichkeiten. Beide Aspekte sprechen die Natur des Menschen an, die Gott sehr respektiert. Gott, der Mensch wird und nicht eine abstrakte Theorie oder eine Arbeitshypothese. Sein Wort wird Fleisch, und das ist nicht eine abstrakte These.

Das gesamte Leben und der Auftrag Jesu ist ein großes Mysterium der barmherzigen Liebe, die Gott offenbart und verwirklicht vor den Augen seines Volkes. Nichtsdestotrotz, jedes Geschehen im Leben Jesu, jede seiner Handlungen ist ein Mysterium, das am totalen Mysterium Gottes partizipiert und dieses realisiert. In der Theologie der ersten Jahrhunderte kam eine solche Idee schon zum tragen und ist noch stärker gereift und klar geworden im Schatz der Kirchenlehrer Ambrosius und Augustinus und schließlich im großen Sänger des Lebens Christi, dem heiligen Thomas von Aquino. Der dritte Teil der Summa theologiae (der Christus als Weg der Rückkehr des Menschen zu Gott, als Brücke des reditus des Menschen sieht) ist nichts anderes als das spekulative Meditieren der Mysterien des Lebens des Heilands[29].

Der heilige Vater unterstreicht die Bedeutung einer solchen narrativen Theologie, die von den Mysterien Christi zum „Geheimnis des fleischgewordenen Wortes, in dem »wirklich die ganze Fülle Gottes wohnt«“(Kol 2,9)[30], voranschreitet. In diesem Zusammenhang kommentiert er die Worte des Katechismus der Katholischen Kirche: alles im Leben Jesu ist Zeichen seines Mysteriums[31]. Der Rosenkranz überträgt die Theologie des Mysteriums und gibt einen noch stärkeren Anstoß. Der Papst zeigt dazu noch etwas ganz besonders auf: Wir können sagen daß der Weg der Mysterien des Lebens Jesu der Weg Mariens ist, d.h. die Art, in der sie in erster Person ihren Sohn kannte und erkannte. Der Papst endet und sagt: „Die Geheimnisse Christi sind in gewisser Weise auch die Geheimnisse der Mutter; dies gilt sogar für die Situationen, in die sie nicht direkt einbezogen ist, und zwar aufgrund der Tatsache, daß sie von ihm her und für ihn lebt“[32]. Maria ist das Vorbild eines authentischen Verhältnisses zu Christus und zum Mysterium seines für die Welt hingeopferten Lebens.

Anschrift des Autors: Dr. Cristoforo Charamsa; Congregazione per la Dottrina della Fede, Palazzo Sant'Uffizio; Piazza del Sant'Uffizio, 11; I - 00120 Città del Vaticano.


[1]Der Papst vertraute der Kirche zu Beginn des Pontifikats an: Der Rosenkranz ist mein Lieblingsgebet. Er ist ein wunderbares Gebet, wunderbar in seiner Schlichtheit und seiner Tiefe. (Angelus, 29 Oktober 1978 vgl. Rosarium Virginis Mariae [= RVM], 2).

[2]Das Gebet, das dem Herzen der Katholiken so nahe ist, das ich so liebe und das die Päpste, meine Vorgänger, so empfohlen haben. (Giovanni Paolo II, Insegnamenti VI/2 [1983] 853).

[3]RVM, 6, vgl. 40-42.

[4]RVM, 6.

[5]Zunächst muß man die Verformungen des Marienkults entfernen, wie sie der Heilige Ludwig Grignion de Montfort (1673-1716) in seinem Traité de la vraie dévotion à la très sainte Vierge, Teil II, Kap. 57-64 beschreibt und kritisiert. Er zeigt außerdem daß die wirkliche Verehrung innerlich, zart, heilig, ausdauernd und ohne Hintergedanken sein muß.

[6]Vgl. Paul VI, Discorso ai partecipanti al Convegno internazionale degli Istituti secolari, 26.09.1970.

[7]Novo Millennio Ineunte (= NMI, 6.01.2002), 16-28.

[8]Thomas von Aquin, Summa Theologiae, II-II, 180, 4, resp.

[9]Vgl.: D. Berger, Thomas von Aquin begegnen, Sankt-Ulrich-Verlag, Augsburg 2002, 79-81.

[10]RVM, 11.

[11]Vgl. Heiliger Thomas von Aquin, Summa Theologiae, II-II, 180, 1, resp.

[12]RVM, 38. Unter den vielen Heiligen die das tägliche Rosenkranzgebet empfahlen, möchten wir besonders den heiligen Johannes Bosco nennen, der seine Jugendlichen mit Nachdruck auforderte, dieser Praxis jeden Tag der Woche in ihren Häusern nachzugehen (E. dal Covolo, «Don Bosco e il Rosario», in Id., L’annuncio del Signore, Torino 2000, 64)

[13]RVM, 15.

[14]RVM, 14-17.

[15]Paul VI, Marialis cultus (2.02.1974), 46 (Insegnamenti XII [1974] 136); cf. RVM, 18.

[16]Vgl. RVM, 19-23; Lumen Gentium (= LG), 58.

[17]Origenes kommt darauf an verschiedenen Stellen seiner Werke und Predigten zurück.

[18]Man vgl. dazu den ersten Band (Schau der Gestalt) von Herrlichkeit: zu den Fundamenten seiner Theologie, die vom Schönen ausgeht, um den reichhaltigen Ausdruck vom Wahren und Guten zu vervollständigen.

[19]Man vgl. z.B. Kapitel 9 des Lukasevangeliums, in dem die zwei Leidensankündigungen (v.22 und v. 43b-44) wie einen Rahmen – geheimnisvoll für die Jünger (v.45) – der Verklärung bilden.

[20]Vgl. Katechismus der katholischen Kirche (=KKK), 1223-1225.

[21]Vgl. KKK, 1382-1383

[22]Der Heilige Gregor der Große rief oft aus: Dieses Weihnachtsfest ist ein Ostern! Man kann hier eine schöne Parallele bei Lukas entdecken: Maria legte ihn in eine Krippe (Lk 2,7b), und nachdem er alles vollbracht hatte, legte ihn ein anderer in ein Grab (Lk 23,53b).

[23]LG 5 zitiert Mk 1,15: weil die Zeit erfüllt  und das Reich Gottes Nahe ist (vgl. Mt 4,17).

[24]KKK, 775.

[25]LG, 2; vgl. KKK, 759.

[26]KKK, 763-766.

[27]KKK, 1115: Die Mysterien des Lebens Christi bilden das Fundament dessen, was nun Christus in den Sakramenten durch die Ämter in der Kirche austeilt, weil «das, was in unserem Retter sichtbar war,  auf seine Mysterien übergegangen ist» (Leo der Grosse).

[28]KKK, 1613.

[29]Vgl. Menschwerdung: Summa Theologiae III, qq. 1-26; und dann Empfängnis und Geburt, qq. 31-35; Epiphanie, q. 36; Beschneidung, q. 37; Taufe, q. 38; Versuchung, q. 41; Wunder, qq. 43-44; Verklärung, q. 45; Leiden, qq. 46-49; Tod, q. 50, Begräbnis, q. 51; Höllenfahrt, q. 52, Auferstehung, q. 53-56; Himmelfahrt, q. 57, Sitzen zur Rechten des Vaters und Gericht sprechen, qq. 58-59. Man vgl. dazu L. Scheffczyk, «Die Bedeutung der Mysterien des Lebens Jesu für Glauben und Leben des Christen», in: Die Mysterien des Lebens Jesu und die christliche Existenz, Aschaffenburg 1984, 17-34; I. Biffi, I misteri di Cristo in Tommaso d’Aquino, Jaca Book, Milano 1994.

[30]RVM, 24.

[31]KKK, 515. Man sehe das ganze wichtige Kapitel: Die Mysterien des Lebens Christi: KKK, 512-570 und dann 595-682.

[32]RVM, 24.